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Im Wahlkampf wetterte Trump wiederholt gegen Einwanderer, bezeichnete sie als Tiere, ihre Gene als schlecht. Wie kann es sein, dass er trotzdem Stimmen aus der Latino-Community erhält?

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Trump Anhängerin trägt einen Hut mit der amerikanischen und der mexikanischen Flagge

Die 18-jährige Erstwählerin Ellie stammt aus einer Latino Familie aus Los Angeles und hat lange überlegt, für wen sie bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme abgeben wird. „Ich werde Donald Trump wählen.“ Julie hätte sich früher nie vorstellen können, für einen Republikaner zu stimmen. Die 64-Jährige Reiki-Heilerin ist als Kind mexikanischer Einwanderer in einem demokratischen Mittelklasse-Haushalt in Chicago aufgewachsen. María, 59, dagegen unterstützt als Tochter eines Exilkubaners schon ihr ganzes Leben die Republikaner und ist Trump-Fan. 

Es ist einer der größten Widersprüche in diesem so aufgeheizten US-Wahlkampf: Wie kommt es, dass Donald Trump, der regelmäßig Einwander:innen beleidigt, unter Hispanoamerikaner:innen erstaunlich viele Wähler:innen findet? 

In einem Interview sagte Trump über Migrant:innen, die schwere Straftaten begangen haben: „Wir haben derzeit eine Menge schlechter Gene in unserem Land“ 

„Latino Americans for Trump“, ein Bündnis innerhalb Trumps Wahlkampflager, arbeitet seit dem Sommer unermüdlich daran. In einem spanischsprachigen Werbespot sieht man eine Latino-Familie mit Zahnpastalächeln im Eigenheim. In einem anderen läuft ein catchy Song, in dem eine Sängerin zu lateinamerikanischen Rhythmen singt: „La buena vida. La economía. ¡Hazlo por tu familia!“ – „Das gute Leben. Die Wirtschaft. Tu es für deine Familie!“ Trump, so sollen die Spots glauben machen, setze sich für Wohlstand und die Belange der Latino-Community ein. Der Fokus von Trumps Wahlkampf liegt allerdings auf der Migrationspolitik, unter anderem plant er Massenabschiebungen von, wie er es nennt, kriminellen Einwander:innen. „Diese Leute sind Tiere“, sagte er auf einer Wahlkampfveranstaltung am 28. September. Und in einem Interview sagte er über Migrant:innen, die schwere Straftaten begangen haben: „Es liegt in ihren Genen ... Wir haben derzeit eine Menge schlechter Gene in unserem Land.“ 

Seine Hetze gegen illegale und kriminelle Einwander:innen scheint nicht zwangsläufig abzuschrecken. Umfragen zeigen eine leichte Verschiebung unter Latino-Wähler:innen weg von der Demokratischen Partei. Zwar ist Donald Trump immer noch weit von einer Mehrheit entfernt, aber er hat unter Latinos, die in den vergangenen US-Wahlen immer entschieden demokratisch gewählt haben, an Raum gewonnen. Laut einer kürzlich von der „New York Times“ und Siena, einem US-amerikanischen Umfrageninstitut, durchgeführten Umfrage gehen 37 Prozent der Latino-Stimmen an ihn, und nur noch 56 Prozent an die Vizepräsidentin und demokratische Kandidatin Kamala Harris (12 Prozent weniger als 2016 an Clinton). Eine separate Umfrage des Pew Research Center kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Wichtig ist das vor allem, weil sie als große und stetig wachsende Bevölkerungsgruppe wahlentscheidend sein könnten: 36,2 Millionen wahlberechtigte Hispanoamerikaner:innen gibt es in diesem Jahr; das sind vier Millionen mehr als bei der letzten Wahl. Besonders hoch ist ihr Anteil bei den jungen Wähler:innen. In dem so wichtigen Swing State Arizona zum Beispiel machten Latinos 2022 41 Prozent der 18- bis 24-jährigen Wählerschaft aus. 

Als ein Grund für die Zustimmung wird die Inflation angeführt, die seit der Pandemie das alltägliche Leben teurer gemacht hat. Mariá, die Tochter eines Exilkubaners und einer mexikanischen Einwanderin leitet in Lake Forest, Orange County, südlich von L.A., eine Zahnarztpraxis. „Trump wird die Preise wieder runterholen und die Jobs und Hersteller zurückbringen.“ Auch wenn Wirtschaftsdaten nicht belegen, dass es unter Trump besser war, ist Marias Wahrnehmung eine andere: „Wir hatten viel mehr Geld in der Tasche. Die Energiepreise waren viel niedriger und Benzin billiger.“

„Was wir brauchen, ist ein Mann, der das Land wie ein Business führt. Trump mag narzisstisch und arrogant sein, aber ob man ihn nun mag oder nicht, er weiß, wie das geht“

Dass kubanische Einwander:innen und ihre Familien republikanisch wählen, hat auch einen historischen Hintergrund: Für viele Flüchtlinge sind ihre Erfahrungen in dem zentralistisch organisierten, sozialistischen Inselstaat und die damit verbundenen tiefsitzenden Ängste und ihre Abneigungen gegen alles Linke und Progressive ein wichtiger Handlungsantrieb. „Wir müssen aufpassen!“, sagt María. „Wir sind immer nur eine Präsidentschaft davon entfernt, ein kommunistisches Land zu werden.“

Auch von Julie, der Reiki-Heilerin, hört man im Gespräch diese Sätze der Alarmstimmung („Die Leute müssen endlich aufwachen!“). Auch sie lebt in Orange County, auch sie kommt aus einer frustrierten Mittelklasse, der es gemessen an Haushaltseinkommen und Arbeitslosenquote so viel schlechter gar nicht geht. Julie sagt: „Als Trump im Amt war, war alles erschwinglicher. Die Menschen konnten Häuser und Autos kaufen, Urlaub machen, in Restaurants gehen und sich ihre Steaks im Supermarkt leisten.“ Auch wenn der Kosmetiksalon ihrer Tochter, in dem sie arbeitet, gut laufe, komme durch Steuern und Inflation weniger bei ihnen an. „Was wir brauchen, ist ein Mann, der das Land wie ein Business führt. Trump mag narzisstisch und arrogant sein, aber ob man ihn nun mag oder nicht, er weiß, wie das geht.“

Ein zweiter starker Beweggrund ist für beide die Migrationspolitik. Das heißt all die Immigranten, die, wie sie sagen, im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern nicht „auf die korrekte Art“ massenhaft und „ohne Überprüfung und Papiere“ ins Land kommen und die Kriminalitätsraten in die Höhe treiben, ohne dass Biden und Harris etwas dagegen machen würden. Während der Amtszeit von Präsident Biden ist die Zahl illegaler Grenzübertritte stetig angestiegen und erreichte zwischen Oktober 2022 und September 2023 einen neuen Rekord. Daten der US-Grenzschutzbehörde zeigen allerdings, dass die Zahlen inzwischen zurückgegangen sind, seitdem Biden die Asylregeln verschärft hat. Mehrere Studien haben darüber hinaus gezeigt, dass illegale Einwander:innen im Durchschnitt weniger Gewaltverbrechen begehen als in den USA geborene Personen. Asylsuchende und illegale Immigrant:innen bekommen auch nicht alles geschenkt, wie die beiden sagen. „10.000 Dollar pro Monat an Lebensmittelmarken“ behauptet Julie etwa. Illegale Einwander:innen ohne Dokumente haben in Kalifornien aber keinen Anspruch auf Lebensmittelmarken. 

Warum sich so viele Latinos auf Trumps Anti-Immigrationsrhetorik einlassen, erklärt Professor Raúl Hinojosa-Ojeda im Videointerview so: „Viele Latinos glauben, dass Trump nicht über sie, sondern über die anderen, die schlechten Latinos spreche. Für sie ist die Unterstützung von Trump eine Möglichkeit, sich mit der weißen Mehrheit zu verbünden. Dahinter steht der Wunsch, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, die Menschen wie sie vernachlässigt.“ 

Dass junge Latinos keine eigene Migrationserfahrung gemacht haben, macht sich im Wahlergebnis bemerkbar

Hinojosa-Ojeda forscht an der University of California in Los Angeles zu Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik sowie zu sozialer Ungleichheit und ist Unterstützer von Harris. Er hat herausgefunden, dass auch der Bildungsgrad und der Social-Media-Konsum Einfluss auf die Wahlentscheidung haben: Je niedriger ersterer und je höher letzterer ist, desto wahrscheinlicher ist die Tendenz zu Trump. Entscheidend ist aber auch das Alter. Während die Anhängerschaft für die Demokraten in den älteren Latino-Generationen relativ stabil ist, würden identitätspolitische Aspekte für deren Kinder, die zweite oder dritte Einwanderergeneration, aber immer weniger eine Rolle spielen. Dass diese jungen Latinos keine eigene Migrationserfahrung gemacht haben, macht sich im Wahlergebnis bemerkbar. Hinojosa-Ojedas Untersuchungen zeigen, dass 2020 mehr als 20 Prozent aller hispanoamerikanischen Trump-Wähler:innen Neuwähler:innen waren.

Eine von diesen Gen-Z-Wählerinnen ist Elizabeth „Ellie“ Santana-Zavala. Die 18-Jährige hat gerade die Highschool abgeschlossen, hat einen eigenen Podcast, ist Social-Media-erfahren und sehr engagiert in der Lokalpolitik. Laut ihren Social-Media-Profilen ist Ellie Christin, Pro-Life, also gegen Abtreibungen, und stolze Amerikanerin. Vor allem aber verbindet sie mit der demokratischen Partei keine alte Loyalität mehr. „Als meine Großeltern aus Mexiko kamen, wurde ihnen der amerikanische Traum verkauft: eine Familie, ein Haus, ein gutes Leben. Heute fühlt sich das immer weniger wie eine Realität an. Für meine Generation ist das scheiße.“ 

Sie habe sich für Trump entschieden, weil er mehr mit ihren Werten übereinstimme, sagt Ellie. Vieles von dem, was er sage, werde von Demokraten und Medien falsch geframt. „Manchmal hat er keinen Filter, aber damit komme ich klar. Er ist kein Politiker, er ist ein Mensch, und vieles von dem, was er sagt, stimmt ja auch.“

Kalifornien wird als „Blue State“ sicher an die Demokraten gehen – genau wie die Mehrheit aller Latino-Stimmen. Aber die kleinen roten Punkte auf der Wahllandkarte werden mehr.

Titelbild: Jamie Kelter Davis/NYT/Redux/laif

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